27 Eylül 2013 Cuma

Yazın dünyasından

Yazın eleştirmeni "Literaturpapst" Marcel Reich-Ranicki sizlere ömür.

Trauerfeier für Marcel Reich-Ranicki „Unser Land verdankt ihm viel“

 ·  Auf dem Frankfurter Hauptfriedhof kamen zahlreiche Gäste um Abschied von Marcel Reich-Ranicki zu nehmen. In ihren Reden gedachten sie dem berühmten Kritiker, der sein Leben der Literatur widmete.

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Im Privaten war er ein Anderer

„Der Punkt ist ja, er hätte auch diese Veranstaltung rezensiert“, sagte Frank Schirrmacher, Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Stets habe Reich-Ranicki die von ihm besuchten Beerdigungen anschließend einer Bewertung unterzogen und dabei auf das Vorhandensein oder das Fehlen von Polizei geachtet, an der sich die Bedeutung der Trauergäste habe erkennen lassen. Angesichts der Polizeiwagen vor dem Hauptfriedhof wäre er mit seiner eigenen Trauerfeier wohl zufrieden gewesen. „Wir werden seine Stimme hören bei allen Büchern, die wir lesen.“ Bouffier hatte zuvor gesagt, Hessen trauere um einen Mitbürger und hinzugefügt: „Hier bei uns war er daheim.“ Dem widersprach Salomon Korn, Vizepräsident des Zentralrats der Juden und Vorsteher der Jüdischen Gemeinde in Frankfurt. „Marcel-Reich-Ranicki hat sich nirgendwo beheimatet gefühlt.“ Er erinnerte an den Freund, der sich privat anders gezeigt habe als in der Öffentlichkeit, „liebevoll, empfindsam, gefühlsbetont, herzlich“. Es seien Gefühle gewesen, von denen er im Warschauer Ghetto und im Versteck nach seiner Flucht gelernt habe, dass sie höchste Gefahr nach sich ziehen könnten. Die Strenge und Unerbittlichkeit des Kritikers ließen sich auf diese existentielle Erfahrung zurückführen. „Um zu überleben, hatte er eine Palisade um sein Innerstes errichtet.“


Trauerrede zum Tod von Marcel Reich-Ranicki Adieu, Marcel

 ·  An einen, der trotz aller durchlittenen Qualen im Inneren ungebrochen blieb: Salomon Korn nimmt in seiner Trauerrede Abschied von dem Freund und Kritiker. 

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„Nur wissen möcht ich: wenn wir sterben,
Wohin dann unsere Seele geht?
Wo ist das Feuer, das erloschen?
Wo ist der Wind, der schon verweht?“
(Heinrich Heine)
Unsere Freundschaft begann im September 1986 mit einer Wette während eines Abendessens im Hause Bubis. Es war schon kühn von mir, in Gegenwart von Marcel Reich-Ranicki an einer scheinbar passenden Stelle Heinrich Heine zu zitieren. Prompt korrigierte er ein Wort des von mir vorgetragenen Zitates. Nachdem ich auf der Richtigkeit meines Wortlautes bestand, wetteten wir um den Preis eines Abendessens, wer von uns beiden korrekt zitiert hatte. Die von mir verlorene Wette wurde unerwartet Grundstein einer siebenundzwanzig Jahre währenden Freundschaft. Von da an trafen wir uns zu viert zu Lesungen, Konzerten, Theaterbesuchen, Abendessen oder verbrachten gemeinsame Tage am Zürichsee, in Prag und anderswo. Stets freute er sich und antwortete geduldig, wenn er im Ausland von deutschen Touristen erkannt und angesprochen wurde. Obwohl er in jenen Jahren zunehmend stärker in die Öffentlichkeit trat, große Popularität gewann und mit dem von ihm geleiteten Literarischen Quartett schließlich  zum Fernsehstar und Literaturpapst aufstieg, legte er weiterhin Wert auf Zusammenkünfte in kleinem Kreis. Die denkwürdigsten Stunden verbrachten wir zu viert in der Wohnung von Marcel und Tosia. Dort zeigte der nach außen hin so strenge Literaturkritiker ungewohnt menschliche Züge – vor allem gegenüber seiner Frau. Marcel vergaß dabei immer wieder, dass Maruscha – meine Frau – fließend polnisch spricht und seine an Tosia in polnischer Sprache gerichteten zärtlichen Worte und Kosenamen verstand. Bei solchen Gelegenheiten offenbarte sich ein Marcel Reich-Ranicki, wie er der Öffentlichkeit verborgen geblieben war: liebevoll, empfindsam, gefühlsbetont, herzlich. Die Jahre im Krieg, im Warschauer Ghetto, im stets gefährdeten Versteck des polnischen Bauern Bolek Gawin hatten ihn gelehrt, dass solche Gefühle in höchster Gefahr tödlich sein konnten. Um zu überleben, hatte er eine Palisade um sein Innerstes, um seine Empfindungen errichtet – und diesen Überlebensschutzwall nie wieder gänzlich abgebaut. Vermutlich entsprang die Quelle seiner strengen, manchmal unerbittlich erscheinenden Urteile und Verrisse in literarischen Fragen unbewusst den existenziellen Erfahrungen jener Jahre zwischen Leben und Tod: nie wieder Schwäche, nie wieder Machtlosigkeit zeigen. Die Erfahrung lehrt: Es gibt Überlebende der nationalsozialistischen Judenvernichtung, die an ihren Erlebnissen zerbrochen sind; der Hölle entronnen, konnten sie in dieser Welt nie wieder ganz heimisch werden. Warum ein Teil der Überlebenden seelisch gelähmt durchs Leben geht, ein anderer Teil, nicht minder gezeichnet, dennoch eine davon gänzlich abweichende Einstellung zeigt, wird wohl nie abschließend zu beantworten sein. Was immer auch der Preis dafür gewesen sein mag, was immer auch die Gründe dafür gewesen sein mögen: Marcel Reich-Ranicki zählt zu jenen, die trotz aller durchlittenen Qualen und Todesängste, trotz seelischer Narben und Traumata, nicht gebrochen waren – vermutlich weil Tosia in einer der schwersten Stunden seines Lebens in sein Leben trat und sich beide in Zeiten höchster Not gegenseitig gestützt haben. Marcel Reich-Ranicki hat sich nirgendwo beheimatet gefühlt – außer im „portativen Vaterland“ der Literatur und Musik. Frankfurt am Main war ihm und Tosia zwar nicht Heimat, wohl aber Zuhause geworden. Der Gedanke, dieses Zuhause in jenem Land gefunden zu haben, aus dem die Mörder seiner Familie und derjenigen seiner Frau kamen, war stets gegenwärtig: ihren Hochzeitstag verbrachten Marcel und Tosia immer außerhalb Deutschlands. Doch mit dem Tod von Tosia im April 2011 hatte Marcel Reich-Ranicki – der Heimatlose – auch sein Zuhause verloren. Als ich mich kurz vor seinem Tod an seinem Krankenbett, in dem er unruhig atmend im Dämmerzustand lag, von ihm verabschiedete, öffnete er unverhofft noch einmal die Augen, sah mich an und – er, der nicht an Gott glaubte – hauchte kaum hörbar „Adieu“.

Adieu Marcel und danke für deine Freundschaft.

K: FAZ