15 Ekim 2013 Salı

Frankfurt Book Fair 2013

E-Book als Falle Die im Dunkeln lesen nicht

09.10.2013 ·  Evgeny Morozov, einer der Chefkritiker des Silicon Valley, eröffnete die Buchmesse mit einer Wahnsinnsfrage: Warum nicht weiter Papier drucken statt digitales Spielzeug verschenken?
 
Von Stefan Schulz

Im luftleeren sozialen Raum: Das E-Book zerstört die Produktionsbedingungen des alten Wissens

Die Idee hinter einer Party namens „Script“ sei, schon am Dienstagabend, bevor die Buchmesse richtig beginne: Alkohol zu trinken. So die warmen Willkommensworte von Sven Murmann, die auch wahre Worte waren. Nur Rainald Götz traute sich, schon nach dem ersten Satz zu applaudieren. Und es wurde ihm namentlich dafür gedankt. Die Botschaft an das Publikum war also auch: Rainald Götz ist unter Ihnen, es wird ein launiger Abend. Jakob Augstein fiel zumindest auch kein weiterer Grund ein, weshalb man die Zusammenkunft „Script“ nannte. Er kam deshalb zum Punkt: Die Bundeskanzlerin habe recht, wir betreten alle „Neuland“. Was die Bundeskanzlerin nun aber nicht tat, sei nunmehr der Auftrag der Anwesenden: die Herausforderungen annehmen.

Die Produktionsbedingungen des Wissens

Den Lotsen für die Reise vom alten ins neue Land hatten die Veranstalter mitgebracht. Als „einen wie uns, nur viel jünger“ kündigte Augstein Evgeny Morozov, den F.A.Z.-Kolumnisten an, dessen Buch „Smarte neue Welt: Digitale Technik und die Freiheit des Menschen“ gerade erschienen ist. Befreien uns die Errungenschaften des Silicon Valley, oder ziehen sie uns eine Zwangsjacke über? So lautete die spontane Fragestellung Augsteins. Angefragt hatte er Morozov allerdings zu einem anderen Thema, nämlich „dem Zustand der Welt“. Ein Thema, das ihm etwas merkwürdig erscheine, ihn aber nicht überfordere, sagte Morozov.

Zurück zum Buchdruck: Evgeny Morozov beim „Script“-Empfang im Frankfurter Hof

Irgendwo im Silicon Valley sitze ein junger Entwickler, der mit einer einzelnen Idee jetzt gerade die Geschäftsmodelle aller Anwesenden zerstöre. „Und allenfalls Sie halten das für eine schlechte Sache“, sagte Morozov, der seiner kurzen Rede keine launige Einführung gönnte. Die Ideologie sei schlicht: Wer Wissen auf einfachere Weise unter die Leute bringe, als dies Buchdrucker und Blattmacher heute tun, leiste einen Beitrag zur Gesellschaft, fördere die Aufklärung, vergrößere das Weltwissen und bringe Ordnung ins Chaos – wie könne das schlecht sein? Was man nur noch nicht herausgefunden habe, sei, in welchem Ausmaß die Zerstörung alter Organisationen die neue Gesellschaft weiterbringe und was dabei übersehen werde. Bislang sei es gelungen, das alte Wissen mit neuen Methoden zu ordnen, wodurch die Produktionsbedingungen des alten Wissens allerdings zerstört würden, und sei es auch nur, weil niemand mehr die Rechnungen bezahle. Die Frage der Finanzierung stelle heute alles in Frage, so Morozov, und verdecke, ganz andere, ebenso drängende Fragen.

Vermarktung in der Datenwolke

Der Rohstoff Wissen werde heute allein in marktfreundlichen Produkten verbaut. Appels iTunes University, ein Modell der Verbreitung des Wissens, zerstöre die Universitäten, die es eigentlich bereithielten. Der Professor werde zum Verkäufer, wie auch der Student, der erst gar kein Zeugnis bekomme. Die Reputationssysteme seien ohnehin längst in Mitleidenschaft gezogen. Wissensgebiete, die nicht ins Silicon-Valley-Schema passten, verschwänden. Es gebe kaum noch soziale Räume für nicht marktkonforme Forschung und Lehre. Was sich in der Wissenschaft abspiele, sei kein Elfenbeinturm-Problem, sondern beispielhaft für das, was auch längst auf den Straßen passiere. Das Rechtssystem, so eine alte philosophische Idee, komme nicht mehr als gesellschaftliche Immunsystem zum Tragen, wenn über die Normen echten Verhaltens nicht mehr debattiert werde, weil in der Big-Data-Welt jede Straftat verhindert werde, bevor sie geschehe. Wie könne überhaupt noch legitim bewertet werden, was kriminell sei, wenn sich die Gesellschaft aus lauter Vorsorge in einer Moral- und Mentalitätsfalle verstricke? Eine Buchmesseneinstimmungsparty war sicherlich der falsche Ort, insbesondere die falsche Zeit, für solche Fragen. Doch zeige sie, schloss Morozov den Gedanken ab, dass die Gesellschaft, die so viel mit Prävention beschäftigt sei, auf das, womit sie es nun zu tun bekomme, gar nicht vorbereitet sei. Die Datenwolke, die alles und alle umhüllt habe, sei heute unsere Arbeits- und Lebenswelt; die einzige Frage, die man sich stelle, sei, wie man sich in ihr am besten vermarkte.

Unbehelligtes Lesen

Was die Eingangsfrage bedeute, werde sich den Anwesenden bald zeigen, wenn die ersten elektronischen Lesegeräte nicht mehr verkauft, sondern verschenkt würden, sagte Morozov – bezahlt werde schließlich trotzdem. Unbehelligtes Lesen werde dann eine Option, die teurere. Statt ums „Produkt Buch“ gehe es dann um den „Service Lesen“, ohne dass sich der Dienstanbieter je wieder abschütteln lasse. Unbehelligtes Lesen werde dann zum sozialen Feature, das eingeschaltet werden müsse, und dadurch zu einem Verhalten, für das man Gründe vorbringen müsse. Wer sich nicht als Kunde zu erkennen gebe, werde es schwer haben in der kommenden Gesellschaft. Morozov erwähnte nicht, dass er das alles ja gar nicht vor Lesern, sondern vor Bürcherverkäufern sagte. Aber es würden die Verlage sein, die darüber entscheiden, ob Geheimdienste eine Datenbank darüber führen werden, wer welche bösen Gedanken liest, deutete er an. Evgeny Morozov, der an dieser Stelle feststellte, dass die angesprochenen Themen „nicht besonders partyfreundlich sind“, läutete die Buchmesse, die sich in diesem Jahr wieder einmal vornahm, nun tatsächlich über E-Books zu diskutieren, mit der Wahnsinnsfrage ein, ob man nicht noch einmal darüber debattieren könne, Papier zu verkaufen, statt Tabletcomputer zu verschenken.

Quelle: F.A.Z.