13 Mayıs 2013 Pazartesi

Haftanın Kitabı 49 ek: Das Ende der Bonner Illusionen

Das Ende der Bonner Illusionen


Nach dem Berliner Coup – Gedankenzu einer realistischen Deutschlandpolitik

Von Golo Mann

 DIE ZEIT, 18.8.1961 Nr. 34

Golo Mann, seit 1959 Professor für Geschichte an der Technischen Hochschule in Stuttgart, hat sich in Deutschland vor allem durch seine brillant geschriebene „Deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts“ einen Namen gemacht. Seine Analyse der bundesrepublikanischen Politik hat gerade durch ihre Nüchternheit provoziert. Professor Mann knüpft in dem folgenden Aufsatz an die Überlegungen an, die Wolfgang Leonhard letzte Woche im Leitartikel der ZEIT über die Möglichkeiten einer deutschen Deutschlandpolitik im Jahre 1961 angestellt hat.

Tausendmal recht hat Wolfgang Leonhard in seinem Artikel „Ein Vorschlag für Deutschland“, wenn er meint, der Westen müßte seinerseits sich etwas ausdenken und positive Vorschläge machen, anstatt nur einen ungesunden Status quo zu verteidigen. Die Gewalttat vom 13. August hat diese Notwendigkeit nicht ausgestrichen, sie hat sie verstärkt, weil sie die Lage noch explosiver gemacht hat.

Für die Wiedervereinigung gab es zwei mögliche Wege, gänzlich unsicher auch sie, aber wenigstens ausdenkbar. Der eine war der, aus der Bundesrepublik ein größeres „Österreich“ zu machen, einen neutralen Staat, anstatt ein zusehends ernsthafter bewaffnetes Mitglied des Atlantikpakt-Systems und der europäischen Institutionen. Dieser Weg hätte den Verzicht auf alle die großen und wohltuenden Erfolge der Adenauerschen Politik bedeutet; statt ihrer wäre ein neutrales (viel ärmeres, eingeengteres, einsameres) Westdeutschland die Basis für ein später zu schaffendes, neutrales Gesamtdeutschland gewesen. Gefährdet wäre ein solches Deutschland allemal gewesen, selbst nach erreichtem Ziel.

Politik der Stärke ohne Stärke

Der andere Weg ging in entgegengesetzter Richtung: das atlantische. Machtsystem, dessen untrennbares Mitglied die Bundesrepublik wurde, so stark zu machen, daß es den Gegner zur Herausgabe der Zone, und mehr als der Zone, zwingen konnte. Diese „Politik der Stärke“ ist versprochen und angeblich versucht worden; in Wirklichkeit wurde sie nie praktiziert: Sie hätte eine Chance allenfalls in der Frühzeit Trumans gehabt, solange Rußland die Bombe nicht hatte. Die Frage, warum sie damals und bis 1949 nicht angewandt wurde, steht hier nicht zur Erörterung. Als Dulles zum Zug kam, war es zu spät dafür. Dann war das Gleichgewicht des Schreckens hergestellt; so wie die Macht des Westens wuchs, wuchs die des Ostens, wenn nicht stärker.

Das Versprechen, das feindliche Imperium „zurückzurollen“, war nichts als Worte. Es wurde nichts dafür gewagt; auch dann nicht, als die Gelegenheit nach Taten schrie (Berlin 1953, Budapest 1956). Da die Politik der Macht, welcher die Bundesrepublik sich anschloß, den verheißenen Erfolg nicht hatte, mußte sie den genau entgegengesetzten haben, nämlich den Vorhang an der Zonengrenze immer undurchdringlicher zu machen; denn freiwillig würde Rußland einem solchen Deutschland seinen Herrschaftsteil nimmermehr ausliefern, würde ihn vielmehr fester und fester an sich ketten.

Die Außenpolitik der Bundesrepublik ist darum immer eine Verbindung von Wahrheit und Unwahrhaftigkeit gewesen. Sie war wahr und erfolgreich mit ihrem Ziel der Integrierung Westeuropas. Sie war unwahrhaftig, insofern sie die Wiedervereinigung zu erstreben vorgab, die, immer offenbarer; auf diesem Weg nicht zu erreichen war. – Ich sage nicht, daß ein anderer Weg zum Ziel hätte führen können, vielleicht gab es keinen, weil Hitlers Krieg die Lage zu gründlich verdorben hatte. Ich sage nur, daß dieser es offenbar nicht konnte.

Es führt kein Weg zurück

Soll der begangene Weg wieder rückgängig gemacht werden bis zum Ausgangspunkt; das heißt, sollen, wir heute ein neutralisiertes Gesamtdeutschland anbieten? Ich glaube nicht, daß das möglich ist. Was in Westeuropa seit dem Schumann-Plan erreicht wurde, ist zu ernsthaft, zu erfolgreich, geht zu tief. Die fortschreitende Bewaffnung der Bundeswehr könnte, sollte mit ein klein wenig mehr Mäßigung betrieben werden. Aber rückgängig zu, machen ist nichts. Wenn das so ist, dann können wir auch nicht erwarten, daß Rußland den von ihm gegangenen Weg zurückgehe, das Warschau-Pakt-System auflöse, die Zone aus ihm entlasse. Freilich, wir könnten es verlangen, wenn wir stärker wären, vom Schwächeren kann man manches verlangen; aber stärker sind wir nicht, und werden es in Zukunft nicht sein.

Bleibt der Grundsatz des Rechts, den Gerstenmaier in seiner Ansprache vor dem Bundestag neulich eindrucksvoll zur Geltung brachte. Wir sind im Recht, weil wir einen Staat nach unserer freien Wahl haben; den Landsleuten in der Zone ist ein schlechter Staat aufgezwungen. Aber Recht ohne Macht, die hier eindeutige Übermacht sein müßte, genügt nicht, und immer hat es Unrecht in der Welt gegeben. Wir zum Beispiel haben selber Unrecht getan, und hätten, wenn es an uns gelegen wäre, dem ganzen. Rußland den Garaus gemacht, nicht bloß einer russischen „Zone“ unser Regime aufgezwungen.

Seitdem, so hat Gerstenmaier wahr und gut gesagt, hat sich in Deutschland Entscheidendes geändert. Aber das kann die Vergangenheit nicht aufheben. Denn schließlich war es nicht Hitler allein, der im Juni 1941 in Rußland eindrang, sich vermessend, er würde jeden Russen erschießen lassen, der auch nur ein unzufriedenes Gesicht machte; es waren wir, die Deutschen. Mit seinen Spazierstock hätte Hitler alles das ja nicht machen können. Und dies erklärt, warum die Russen sich zur Selbstbestimmung der Deutschen nicht ebenso freudig bekennen, wie wir es tun.

Worauf will ich hinaus? Nicht auf Kapitulation. Nicht auf eine Preisgabe unseres Rechts; nicht auf zynische Machtpolitik und nicht auf zynische Ohnmachtspolitik. Ich will auf Erhaltung des Friedens hinaus, wenn er in Ehren erhalten werden kann, unter für beide Seiten erträglichen Bedingungen; weil Krieg uns alle, samt allem Recht und allem Unrecht, verbrennen würde und das gegenwärtig stattfindende Spiel mit dem Feuer eine Menschheitsschande ist.

Die Zustände in der Zone sind für Deutschland und die freie Welt unerträglich. Die gegenwärtige Wirkung Westberlins auf die Zone ist für Rußland unerträglich, weil, abgesehen von anderen Funktionen Westberlins, die Massenflucht aus der Zone binnen kurzem den Zusammenbruch des SED-Regimes herbeiführen mußte. Daher, zunächst, der Gewaltstreich vom 13. August. Daß Ulbrichts Regime an der Massenflucht selber und allein schuld ist, ändert nichts an der Zwangslage, in der es sich befand. Wir konnten nicht erwarten, daß Rußland den Zusammenbruch seines sowjetzonalen Staates hinnehmen würde.

Was sollen wir unter diesen Umständen tun? Nur Gegenmaßnahmen ergreifen, die uns das Gefühl der Macht-Ebenbürtigkeit bestätigen, die Öffnung des Zonen-Gefängnisses aber nicht erzwingen können? Nur, wie seit 15 Jahren, auf dem Recht der deutschen Selbstbestimmung bestehen, das wohl Recht ist, aber heute nicht verwirklicht werden kann? Nur auf unserem, ich meine dem alliierten, wirklichen Recht in Westberlin bestehen, das ein Überbleibsel aus einer völlig anders gearteten Vergangenheit ist? Alles das muß sein, aber kann den Frieden nicht retten und die Freiheit nicht wiederherstellen.
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Der Gefangene der Sowjets

Die Lösung, nicht die endgültige, aber die vorläufige, ist meiner Meinung nach in dieser Richtung zu suchen. Wir müssen, sei es direkt, auf dem Wege diskreter Verhandlungen, sei es durch neutrale Mittelsmänner und durch Anrufen des neutralen öffentlichen Geistes, den Kreml davon überzeugen, daß eine Veränderung des Zonenregimes in aller Interesse, auch in seinem eigenen liegt. Wir sollen nicht auf freien Wahlen und freier Wiedervereinigung bestehen, die Recht sind, aber heute nicht zu erreichen sind. Wir sollen nicht einmal auf einer „österreichischen“ Lösung für die Zone bestehen, ihre Neutralisierung bei völliger Preisgabe der „sozialen Errungenschaften“, weil auch dies heute nicht zu erreichen ist.

Aber wir sollten den Sowjets durch hundert Kanäle sagen und sagen lassen: schafft Zustände in der Zone, unter denen die Menschen nicht mehr täglich zu Tausenden zu entfliehen wünschen. Schafft eine Regierung, die von den Menschen angenommen und nicht mehr tödlich gehaßt wird, unter der sie in leidlicher Freiheit und Rechtssicherheit leben können. Schafft politische Bedingungen, wie sie auch nur in Polen herrschen.

Wie Polen so ist Mitteldeutschland heute der Gefangene Rußlands, und so wenig wir Polen befreien können, so wenig können wir Mitteldeutschland befreien. Wohl aber wäre in Mitteldeutschland eine sozialistische Landesvertretung denkbar, die sich – bis auf weiteres, endgültig ist nichts – in das Schicksal der Gefangenschaft fügt, wie Polen es tut, aber das Beste daraus zu machen sucht und ihren Mitbürgern das Maximum von Freiheit gibt, das sich mit dieser Grundbedingung vereinigen läßt.

Zehn Jahre wurde nur geredet

Längst hätte dies das Nahziel. einer deutschen Politik sein sollen, nicht, weil es gut ist, gut ist es nicht, sondern weil ein besseres nicht zu erreichen war. Indem wir ein besseres zu erstreben vorgaben, indem wir zehn Jahre lang nicht ernsthaft verhandelten, sondern immer nur aneinander vorbeideklamierten, hat die Lage sich immer nur verschlechtert. Sie könnte heute kaum ungünstiger sein, auch für dies bescheidene Ziel, weil unter dem lauten Säbelrasseln des Ostens und des Westens, weil inmitten der Unruhe in der Zone selber der Griff der Tyrannei noch härter werden muß.

Andererseits ist das, was die Massenflucht aus der Zone gezeigt hat, vor der öffentlichen Meinung der Welt nicht wegzuleugnen. Und die Beseitigung dieser Schande, wenn sie nicht mit dem Zusammenbruch des Zonenstaates verbunden ist, wäre nicht gegen das Lebensinteresse des Kreml. Ihm etwas gegen sein Lebensinteresse zuzumuten, hätte nur dann Sinn, wenn wir Rußland töten könnten, ohne daß Rußland uns töten kann.

Ein solcher Verhandlungsversuch dürfte sich nicht gegen „den Kommunismus“ richten. Erstens nicht, weil unsere Verhandlungsgegner Kommunisten sind und bleiben werden; wer glaubt, daß der Kommunismus in Rußland gestürzt werden könnte, gehört ins Narrenhaus. Zweitens nicht, weil wirklich ein tiefer Unterschied zwischen dem „Kommunismus“ in Rußland, dem „Kommunismus“ in Polen, dem „Kommunismus“ in der Zone besteht. Er müßte sich ausschließlich gegen das vor aller Welt bankrotte Ulbricht-Regime richten, das durch einen „besseren“, „echteren“ Sozialismus zu ersetzen wäre.

Die Chance für einen solchen Versuch wäre ein wenig besser, wenn die Bundesrepublik diplomatische und menschliche Beziehungen zu Polen unterhielte, die sie längst hätte aufnehmen sollen. Aber wir haben uns in bezug auf die ganze von Hitlers Krieg östlich der Zonengrenze hinterlassene Wirklichkeit viele Jahre lang in ein Wolkenkuckucksheim eingeschlossen. Wir haben geglaubt, daß diese Wirklicheit eines Tages wie durch Zauberei verschwinden würde und mittlerweile einen guten Tag gelebt.

Also würde ich den Vorschlägen Leonhards folgendermaßen zustimmen. Verhandlungen, gleichgültig in welcher Form, im Sicherheitsrat, durch neutrale Mittelsmänner oder direkt; mit diesen Zielen (vorläufigen Zielen, alles ist vorläufig): Verwandlung des Zonenregimes in ein auf freien Wahlen beruhendes, bei der jedoch die Wiedervereinigung nicht zur Diskussion stünde, oder, wenn dies Maximum nicht zu erreichen ist, in ein Regime, was vom Großteil der Menschen in der Zone angenommen wird; Sicherung der Grundrechte (freie Meinungsäußerung); Rechtsstaat. Nach einer Probezeit Anerkennung dieses veränderten deutschen Oststaates durch die Westmächte und die Bundesrepublik; Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze. Allermählicher Abbau dessen, was Kennedy die „irritants“ in Westberlin genannt hat. Schließlich Neubestimmung des Status von Westberlin unter Wahrung der alliierten Rechte.

Die Forderungen müssen real sein

Daß viel bessere Lösungen sein sollten, weiß ich so gut wie einer. Wer zeigt uns, wie sie sein können? Um es noch einmal zu sagen: Ein Zusammenschluß der Zone mit der Bundesrepublik als einem schwer bewaffneten Mitglied des Atlantik-Pakt-Systems ist für Moskau keine praktische Möglichkeit. Die Entwicklung der letzten zwölf Jahre rückgängig zu machen, zurückzugehen zu jener Lösung, wie sie in dem Stalin-Angebot von 1952 zweideutig genug angespielt wurde, ist gleichfalls keine praktische Möglichkeit mehr. Was bleibt?

Es bleibt Krieg. Für den Unterzeichneten. gibt es Dinge, denen er den Krieg, das heißt das Ende, vorziehen würde. Aber ernsthafte Versuche, einen Menschheits-Selbstmord zu verhindern, sollten wir doch wohl machen. Wir machen sie nicht, solange wir nur immer gute, aber irreale Forderungen wiederholen, ohne die wirkliche Situation, zu der auch die Situation des Gegners und zu der eine böse Vergangenheit gehört, in Anschlag zu bringen.